Denn Gott bin ich und kein Mann (Hos11,9)

– Warum es wichtig ist Gott nicht  männlich zu denken und wie das gelingen kann

Reden wir doch von Gott einmal als Frau. Biblische Bilder und religiöse Traditionen gibt es dafür genügend. Es gibt Bibelstellen, die von Gott als Hausherrin, als Hebamme, als Gebärende oder als Mutter sprechen. Eine ganze antike Tradition verehrte Sophia, die Weisheit, als göttliche Kraft mit weiblichen Zügen. Es geht hier nicht nur um eine Frage der Geschlechtszugehörigkeit. Mit dem Frausein Gottes entsteht auch ein anderes Gesamtbild, es entsteht ein ganz anderes und völlig neues Image.

Wenn Gott nicht länger der Zampano sein soll, der mit Blitz und Donner regiert, kann man sie leichter in den alltäglichen Dingen entdecken. Unvorhergesehene Wendungen, Geistesblitze, glückliche Fügungen: Das ist sie. Wenn jemand in einer Diskussion etwas sagt, das die Debatte wirklich weiterbringt, wenn uns plötzlich ein Licht aufgeht, wenn ich in einer brenzligen Lage geistesgegenwärtig das Richtige tue, wenn irgendwo ein frischer Wind weht, dann hat Gott geholfen. Ist es nicht gut, sich klarzumachen, dass das nicht selbstverständlich ist? Dass man Glück hatte? Denn es kommt ja auch vor, dass Gott sich nicht blicken lässt. Gottes Geist weht, wo sie will. Oder eben auch nicht.

Die Vorstellung von Gott als „Vater“ und „Herr“ hat sich wie ein altes Kaugummi in alle Ritzen unserer Kultur hineingeklebt. Vor allem im Christentum, wo man, anders als im Judentum und im Islam, das Gebot „Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen“ nie so ganz ernst genommen hat. Gottesdarstellungen im Stil Michelangelos sind allgegenwärtig.

In den meisten Fernsehserien gibt es einen Helden, der verspricht, dass am Ende alles gut wird. Wie hat mich Jack Shephard in Lost mit dieser Attitüde genervt! Und immer ist es ein weißer Mann. Auch Actionfilme kommen selten ohne männlichen Helden aus, der in letzter Sekunde die Welt von dem Bösen erlöst. „Er hat die ganze Welt in seiner Hand“, heißt es in einem alten Gospel. „Millionen von Menschenleben liegen in deiner Hand“, sagt sein Alter Ego zu Douglas Quaid, dem Protagonisten in der Neuverfilmung von Total Recall. Zum Verwechseln ähnlich sind sie sich, der Supermann und der Supergott.

Diese Verwechslung macht nicht nur unser Konzept von Männlichkeit leicht größenwahnsinnig, es macht auch Gott im wahrsten Sinne des Wortes unglaubwürdig. Denn dass Gott (oder heldenhafte Männer) die Dinge regeln würden, ist ja eine Behauptung, die von der Realität ständig widerlegt wird. Im wirklichen Leben geht es selten so aus wie im Film. Am Ende werden die Guten oft nicht gerettet und die Bösen nicht bestraft.

Wenn Gott aber nicht Bruce Willis, sondern Meryl Streep wäre? Also keine, die wie ein strenger Vater droht: Wehe, du hörst nicht auf mich, dann gibt’s Hausarrest!, sondern eine, die warnt: Zieh dir lieber etwas Warmes an, sonst wirst du dich noch erkälten? Meine Lieblingsbibelstelle dazu steht beim Propheten Hosea, 11. Kapitel. Dort wird Gott, gefragt, warum sie die abtrünnigen Israeliten nicht bestraft, mit den Worten zitiert: „Mein Mitleid lodert auf, aber ich vollstrecke meinen Zorn nicht. Denn Gott bin ich, und kein Mann.“         Sie ist, sagt der Prophet Hosea, die, die „den Säugling an ihre Wangen hebt, sich ihm zuneigt und ihm zu essen gibt“. Gott ist so allmächtig, wie eine Mutter (oder jemand anders an ihrer Stelle) für ein kleines Kind allmächtig ist: Von ihr hängt es ab, dass wir überleben. Sie gibt uns Nahrung, lehrt uns sprechen, erklärt uns die Welt, leidet mit uns, wenn es uns schlecht geht, steht uns mit Rat und Tat zur Seite, tröstet und ist ein Vorbild. Aber manchmal erkälten wir uns trotzdem oder schlagen uns das Knie auf. Das kann sie nicht verhindern.

Kaum jemand hat diese Erkenntnis so klar in Worte gefasst wie die Niederländerin Etty Hillesum. Sie war noch keine 30 Jahre alt, als sie im Jahr 1943 in Auschwitz umgebracht wurde. In den zwei Jahren zuvor hatte sie in ihrem Tagebuch – posthum unter dem Titel Das denkende Herz veröffentlicht – angesichts der Katastrophe des Holocaust, von der sie klar vorhersah, dass sie sie als Jüdin das Leben kosten würde, ein intensives Gespräch mit Gott geführt. Etty Hillesum schrieb: „Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können. Ich fordere keine Rechenschaft von dir, du wirst uns später zur Rechenschaft ziehen. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen.“

Etty Hillesum ist aber nicht die Einzige, die das Verhältnis zwischen Menschen und Gott als eines der gegenseitigen Bedürftigkeit – und nicht der Herrschaft – interpretiert hat. Dieser Gedanke durchzieht die Theologie der Frauen seit Jahrhunderten, fast wie eine unsichtbare Parallele zur Männerkirche. Eines der wichtigsten Bücher in dieser anderen, ich möchte sagen weiblichen Theologietradition ist Ende des 13. Jahrhunderts erschienen und heißt „Der Spiegel der einfachen Seelen“ von Margareta Porete, einer französischen Begine.

Sie beschreibt Gott darin als „Fern-Nahen“, der seine Handlungsmöglichkeiten an die Beziehung zu einzelnen Menschen knüpft. Die Erkenntnis des Wahren, erläutert Porete, ist keine Frage des Glaubens, der Vernunft oder der Tugend, sondern eine der Liebe. Nur eine liebende und „vernichtigte“ Seele könne ein „Durchlass“ für Gott auf diese Welt sein.

Margareta Porete verehrt Gott nicht als Frau, sondern geht tatsächlich noch einen Schritt weiter: Sie verehrt Gott als Nichts, als Leerstelle.

Deshalb ist es tatsächlich auch nur ein Zwischenschritt, Gott als Frau zu denken. Aber er erscheint mir notwendig, um das Mann-Gott-Kuddelmuddel zu überwinden.

Niemand kann sagen, dass sie Gott wirklich versteht. Gott ist nicht Einer, sondern Differenz, Gott ist nicht Dieses, sondern das Andere. Gott ist nicht Etwas, sondern die Leerstelle, über die wir nicht verfügen können, von der aber dennoch unser Leben und die ganze Welt abhängen. Gott ist ein „Mem“, in dem Wissen, Erfahrungen, Theorien und Geschichten zusammengefasst sind. Geschichten, die sich damit auseinandersetzen, dass Menschen niemals alles in der Hand haben. Dass nie über etwas wirklich das letzte Wort gesprochen ist, dass ständig etwas Unerwartetes geschehen kann, und zwar im Positiven wie im Negativen. Dass da immer noch jenes Andere ist, das unsere Pläne und Prognosen möglicherweise durchkreuzt.

Natürlich ist niemand gezwungen, mit Gott zu rechnen, natürlich kann man sie auch einfach ignorieren. Das ändert aber nichts daran, dass es genau so ist, wie Teresa von Ávila sagte: „Wir können immer nur das tun, was von uns abhängt, für den Rest müssen wir vertrauen.“

Antje Schrupp (Evangelische Theologin)